Siezen Sie bequem?


Du vs. Sie im Unternehmen

Siezen Sie bequem?

 

Wenn ich hier jetzt zum Du übergehe, wirst du vielleicht sagen, was fällt Ihnen ein, wo haben wir denn zusammen schon Schweine gehütet?! Mit diesem Ausspruch verleihst du deiner Verwunderung über mein forsches Du Ausdruck und machst mir klar, dass du es für völlig unangemessen hältst, weil ich dir damit zu nahe trete. Dass ich die Regeln der Höflichkeit und dein Persönlichkeitsrecht auf eine freie Wahl der Anrede verletze. Ähnlich mag es Mitarbeitern gehen, die im Zuge einer neuen, als fortschrittlich und zeitgemäß geltenden Unternehmenskultur das Du verordnet bekommen. Zu Recht?

 

Die Bedeutung des „Du"

 

Ein Du ist Vertrauenssache. Aus Distanz entsteht Nähe. Das Du setzt familiäre Bindungen oder eine gewachsene Freundschaft voraus. Wenn wir jemandem das Du anbieten - und hier sieht der Knigge ganz klare Regeln vor, etwa von Frau zu Mann oder Älterem zu Jüngerem - haben wir gemeinsam etwas durchlebt oder durchlitten, uns kennengelernt, den anderen ins Herz geschlossen. Auch ein Du unter langjährigen Kollegen ist durchaus üblich. Schließlich meistert man zusammen den Arbeitsalltag. Und hat sich gemeinsam nach dem Alphatier im Chefzimmer zu richten. Das verbindet.

 

Die Bedeutung des „Sie“

 

Das Sie ist eine Geste der Höflichkeit, mit der wir Fremden oder aber auch ranghöheren Personen begegnen. Wir zollen Ihnen damit unseren Respekt. Für ältere Menschen, die noch die „alte Schule“ genossen haben, gehört diese Anrede zum guten Ton. Andere wiederum legen Wert auf das Sie, weil es ihre Privatsphäre schützt. Ein Sie kann unter gewissen Voraussetzungen zum Du werden. Damit ist es auch Ausdruck von Macht, guten Beziehungen und Hierarchien. Und um genau diese Hierarchien geht es Chefs, die ihren Mitarbeitern das Du anbieten und diese Anrede im Unternehmen etablieren.

 

Alle oder keiner

 

Wer sich flache Hierarchien wünscht, muss konsequent sein. Denn während ein Du unter Kollegen - also Gleichrangigen - nicht unüblich ist, birgt es gegenüber dem Chef - ranghöher und Respektsperson - in traditionellen Unternehmen erstmal eine gewisse Brisanz. Wer seine Vorgesetzten duzt, muss sich dieses Privileg in den Augen der Kollegen irgendwie verdient haben. Das Risiko ist groß, als Schleimer abgestempelt zu werden. Dicke Luft ist programmiert. Also: entweder alle, oder keiner!

 

Dieser Schritt will aber wohlüberlegt sein. Denn ist das Du einmal angeboten, hat es Bestand auf Lebenszeit und lässt sich ohne Affront nicht zurücknehmen. Also gilt es, die Vor- und Nachteile sorgfältig abzuwägen und sich bewusst zu machen, dass es die Belegschaft auch in zwei Lager spalten könnte. Mitarbeiter, die sich mit dem Du unwohl oder gar unter Druck gesetzt fühlen, passen dann womöglich nicht mehr ins Team und werden ausgegrenzt. Und während es die einen Überwindung kostet, Herrn Sensebrecht plötzlich mit Hugo anzusprechen, empfinden es andere vielleicht als Befreiung.

 

Die Vorteile des „Du“

 

Es gibt gute Gründe, im Unternehmen auf „Du“ umzuschalten. Mit ziemlicher Sicherheit wird es Nahbarkeit erzeugen und Mitarbeitern die Angst nehmen, Vorgesetzten gegenüber Kritik zu äußern oder Verbesserungsvorschläge zu machen. Ein Du suggeriert Augenhöhe und ermutigt dazu, sich einzubringen. Schlummernde Talente können so geweckt werden. Ein allgemeines Du fördert zudem das Miteinander und einen gesunden Teamgeist. Ein Wir-Gefühl schafft Bindungen im und ans Unternehmen und erzeugt so einen guten Nährboden für konstruktives Arbeiten.

 

Die Nachteile des „Du“

 

Der Schuss kann allerdings auch nach hinten losgehen. Zu viel Vertrautheit lässt womöglich die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem verschwimmen. Weisungen werden nicht mehr ernstgenommen, wenn die Hierarchien verschwimmen. Manche Situationen, in denen ein neutrales Sie für Distanz gesorgt hätte, sind nun vielleicht schwieriger zu meistern, weil sich Mitarbeiter durch die neue Verbundenheit persönlich herabgewürdigt fühlen - etwa bei Kritik oder einer Kündigung. Auch mangelt es vielleicht irgendwann am nötigen Respekt. „Du blödes Rindvieh“ sagt sich schließlich leichter als „Sie blödes Rindvieh“.

 

Der Ton macht die Musik

 

Deshalb ist ein Du nicht gleichzusetzen mit einem Freibrief für Unhöflichkeit. Es muss respektvoll bleiben, so wie es im englischsprachigen Raum üblich ist, wo das „You“ durchaus förmlich gebraucht wird und nicht selten der Nutzung eines Sie in Verbindung mit dem Vornamen entspricht. Wertschätzung und Fingerspitzengefühl sind daher unabdingbar, wenn die neue Unternehmenskultur Früchte tragen soll.

 

Mehr Umsatz durch Nahbarkeit

 

Gute Chefs verstehen es, ihre Mitarbeiter unabhängig vom Sie oder Du anzuleiten und haben auch bei flachen Hierarchien die Zügel fest in der Hand. Für Mitarbeiter wichtig zu wissen: Ein respektvolles Sie allein macht noch keinen guten Vorgesetzten. Daher darf ein Du auch nicht mit mangelnden Führungsqualitäten gleichgesetzt werden.

 

Letztlich wird die Wahl der Anrede auch vom Betriebsklima und den Angestellten abhängen. Wie aufgeschlossen sind sie, wie passen sie zusammen und wie funktionieren sie im Team? Kann ich das Miteinander durch ein Du fördern und bisher ungenutztes Potential freisetzen?

 

Gerade im Verkauf ist auch die Wirkung auf die Kunden zu bedenken. Werden sie den unförmlichen Umgang mit mangelnder Seriosität gleichsetzen, oder überträgt sich die Nahbarkeit auch im Beratungsgespräch? Wer hier mit sich und seinem Arbeitsumfeld im Reinen ist, authentisch bleibt und das Gefühl hat, sich im Unternehmen einbringen zu können, wird mit neuer Energien erfolgreicher verkaufen. Das hierarchisch flache Du bietet also echte Chancen. Und immerhin macht uns ein großes schwedisches Möbelhaus vor, wie man mit Duzen richtig viel Umsatz machen kann…